Das Ausnutzen "günstiger" Gelegenheiten

Fall 5
Allgemeiner Teil:
  • Irrtümer
  • Kausalität und Zurechnung
  • Rechtswidrigkeit
Besonderer Teil I:
  • Tötungsdelikte
Besonderer Teil II:
  • Anschlussdelikte
  • Untreue
Schwierigkeit:
  • Klausuren (Examen)

Kriminelle Wirtschaftsmachenschaften in ganz Kiel! Können sich die Opfer wehren oder verstricken sich diese vielmehr selbst in Schuld?

Josefine Feldmann (J) wird von ihrem ehemaligen Kollegen und guten Freund Frederik Paulsen (FP) zum Abendessen in das Restaurant des Hotels „Kieler Kauffrau“ eingeladen. Beide kennen sich seit dem Studium an der Frankfurt School of Banking. Nach dem Studium trennten sich kurzzeitige ihre Wege und man traf sich Jahre später in der Chefetage der KSH Bank AG wieder. Nach dem Ausscheiden aus der Bank machte sich FP mit einem kleinen Investment Unternehmen selbständig. Beim Essen und anschließendem teuren Wein wird die Zunge des FP zunehmend lockerer. Er beginnt zu prahlen, wie schnell sich sein neues Geschäft rentiere und dass er langsam nicht mehr wisse, wo und wie er das ganze Geld ausgeben solle. Auf die Nachfrage der J beginnt FP ihr seine Geschäftsgebaren en detail zu erläutern. Dabei kommt heraus, dass FP das Geld durch einen geschickten Betrug (§ 263) seiner Investoren erwirtschaftet. Auf seine Masche sei sogar der Geschäftsführer der Nilsson Werft Olaf Nilsson (O) hereingefallen. Diesen habe er im Handumdrehen 10.000 € abgenommen. O habe FP die 10.000 € in bar als vermeintliche Anzahlung für ein Investment Projekt gegeben. J ist völlig geschockt von den Geschäftsmanieren ihres ehemaligen Kollegen und verlangt die Rechnung. Nachdem die Rechnung über insgesamt 350 € gebracht wird, gibt FP der J einen 500 €-Schein aus dem erbeuteten Geld und bittet sie, zu bezahlen, während FP selbst sich für ein kurzes Telefonat nach draußen begibt. J bezahlt die Rechnung und überlässt dem Inhaber des Restaurants Igor Wolkow (I) von dem Wechselgeld 50 € Trinkgeld. Als FP zurückkehrt, erklärt er J in seiner grenzenlosen Arroganz, sie könne die restlichen 100 € behalten. Um eine größere Szene im Restaurant zu vermeiden, steckt J das Geld ein.

Als J am nächsten Tag zurück zur Arbeit kommt, wird sie auch schon mit dem nächsten Problem konfrontiert. Björn Petersen (B), der in seiner kleinen Buchhandlung „Düsternbook“ teilweise kostspielige antike Buchbände verkauft, übereignet diese regelmäßig, um seine „Händlerfinanzierung“ abzusichern, an die KSH Bank AG. Dabei gehen die Kaufpreisforderungen im Wege einer Vorausabtretung an die Bank über, wobei B zur Einziehung der Forderungen ermächtigt ist. Mathematik und Chemielehrer Walter Weiß (W) interessiert sich für den Band „Principia Mathematica 3 Band Set von Bertrand Russell“ zum Preis von 1.429,97 €. Nach längerem „Feilschen“ werden sich B und W einig: B verkauft und übergibt den Band zum Preis von 1.350 € an W, ohne dies jedoch – entgegen seiner vertraglichen Verpflichtungen – der Kieler Nordbank gegenüber anzuzeigen und den entsprechenden Finanzierungssaldo auszulösen. Vielmehr beabsichtigt B den Erlös für sich beiseitezulegen.

Friedhelm Rosenboom (F) sitzt mit seiner Frau Aurelie (A) am reich gedeckten Frühstückstisch, als das Telefon klingelt. Wie A und die Kinder Joël Maximilian (JM) und Chloë Elisabeth (CE) wissen, kann es zu so früher Stunde nur ein Anruf aus der JVA sein. F nimmt ab und hört die schwache tränenerstickte Stimme einer Frau, die ihn bittet ihre Verteidigung zu übernehmen. Da JM und CE schon wieder lauthals über die Klimaschädlichkeit von Avocados streiten, muss er diese erst einmal zur Raison bringen, um die Frau am anderen Ende zu verstehen. Da es sich um ein vermutetes Kapitalverbrechen handelt, macht sich F sofort auf den Weg in die JVA nach Lübeck. Dort angekommen schildert Greta Bauer (G) dem F ihre Situation. F traut seinen Ohren nicht. Laut G hat sich folgendes Geschehen ereignet:

„G wohnt mit ihrem Mann Sebastian (S) und den zwei volljährigen Kindern Christian (C) und David (D) in einem Einfamilienhaus am Stadtrand von Kiel in Hassee. Am Abend des 02. Februar 2018 war G allein zu Hause und ging ihrem Hobby, dem Stricken von Wollsocken, nach. Vertieft in ihre Arbeit wurde sie durch ein Geräusch aus der Garage erschreckt, wodurch ihr wortwörtlich die Stricknadeln aus der Hand fielen. Da sie wusste, dass ihr Ehemann jeden Freitag am Stammtisch teilnimmt und ihre beiden Kinder bei Freunden waren, zog sie den folgenschweren Schluss, es könne sich nur um einen Einbrecher handeln. Um sich gegebenenfalls gegen den Einbrecher verteidigen zu können, ging sie in die Küche und nahm ein Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm aus dem Besteckkasten. G ging mit dem Messer bewaffnet in die Garage, wo sie den Einbrecher (E) erblickte. E hatte vor, G mit Gewalt zu überfallen, um Wertgegenstände und Bargeld zu entwenden. Als nun der E die G im Augenwinkel bemerkte, wollte er seine mitgeführte Schusswaffe ziehen. Die G erkannte, dass E bewaffnet war. Ihr gelang es, dem Angriff des E zuvorzukommen. G rammte dem E blitzschnell das Küchenmesser zwischen die Rippen, wobei sie mit Tötungsvorsatz handelte. Als G begriff, was sie getan hatte, verließ sie in Panik fluchtartig das Haus. Aufgrund des Schocks war sie nach dem Stich völlig handlungsunfähig.

Kurze Zeit später kam dann ihr ältester Sohn C nach Hause. Er hörte das Rufen und Ächzen des verletzten E aus der Garage. C zog allerdings falsche Schlüsse aus der Situation, denn er glaubte, bei der rufenden Person handele es sich um seinen kleinen Bruder D. Auf diesen war C immer neidisch gewesen, da das „Nesthäkchen“ D von seinen Eltern besonders verwöhnt und tatsächlich ständig bevorzugt wurde. C ging davon aus, D sei bei Aufräumarbeiten oder dem Suchen eines Werkzeuges in der Garage gestürzt und habe sich dabei schwer verletzt. Diese schwere Verletzung des D wollte C ausnutzen, um endlich auch einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit seiner Eltern stehen zu können, die sonst scheinbar nur Augen für den hochbegabten D hatten. Deshalb nahm C den großen gusseisernen Kerzenständer vom Esstisch und ging in die Garage. An der Verbindungstür zwischen Haus und Garage angekommen, warf er den Kerzenständer unter Einsatz seiner ganzen Kraft in Richtung des Jammerns und Ächzens. Dabei nahm er billigend in Kauf, den Urheber des „Geräuschs“ tödlich zu treffen. Der Kerzenständer traf E am Kopf. Laut Autopsiebericht sei E kurz darauf an der Kopfverletzung verstorben, da er durch den vorherigen Blutverlust bereits sehr geschwächt war. Ohne die Stichverletzung durch das Messer hätte der Kerzenständer den E nicht gleichermaßen lebensgefährlich verletzt. Die Obduktion des Leichnams ergibt weiter, dass E ohne den Kerzenständerwurf erst Stunden später verstorben wäre.“

Strafbarkeit der Beteiligten nach dem StGB? Mordmerkmale sind nicht zu prüfen.

Vorüberlegungen

In wie viele Handlungs­abschnitte muss der Sachverhalt gegliedert werden?  Struktur

Der Sachverhalt muss in 4 Handlungs­abschnitte gegliedert werden, wobei einer davon die im Sachverhalt bereits vorausgesetzt Betrugstat des FP ist.

  • 1. Handlungsabschnitt: Vortat zu Lasten des O
  • 2. Handlungsabschnitt: Das Geschehen im Kieler Kaufmann
  • 3. Handlungsabschnitt: Das Geschehen in der Buchhandlung
  • 4. Handlungsabschnitt: Geschehen im Keller

1. Handlungsabschnitt: Vortat zu Lasten des O

Strafbarkeit des FP

§ 263 nach Feststellungen im Sachverhalt

2. Handlungsabschnitt: Das Geschehen im Kieler Kaufmann

Strafbarkeit der J

Welche Delikte kommen in Betracht?  Denkanstoß
  • Betrug gem. § 263 I
  • Hehlerei gem. § 259 I, wobei genau zwischen den einzelnen Tatobjekten zu unterscheiden ist

Dabei ist zu beachten, dass ausschließlich ein strafrechtlich relevantes Verhalten der J in Betracht kommt.

A. Hehlerei gem. § 259 I durch Verzehr der Speisen und Getränke
Wie bauen Sie die Hehlerei gem. § 259 I auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Objektiver Tatbestand

Tatobjekt der Hehlerei kann nur eine Sache sein, die unmittelbar aus einer Vortat erlangt wurde. Die Speisen und Getränke stammen nicht aus dem von FP begangenen Betrug. Eine Ersatzhehlerei ist nicht von § 259 I nicht erfasst.

II. Ergebnis: § 259 I
B. Betrug gem. § 263 I durch Bezahlung
Wie bauen Sie den Betrug gem. § 263 I auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Konkludente Täuschung

J täuscht darüber, dass sie mit „ergaunerten“ Geldscheinen bezahlt.

b) Irrtum
c) Vermögensverfügung

Unmittelbare Vermögensminderung durch Servieren der Getränke und Speisen

d) Vermögensschaden
Wann liegt ein Vermögensschaden vor?  Definition

Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn die aufgrund der Verfügung eingetretene Minderung des Vermögens nicht durch einen unmittelbar mit ihr verbundenen Vermögenszuwachs vollständig ausgeglichen wird.

Kann die Vermögensminderung mit dem aus einer Straftat stammenden Geld ausgeglichen werden?  Problem

I hat an den Geldscheinen Eigentum gem. § 929 S. 1 BGB Eigentum erworben, so dass die Vermögensminderung kompensiert wird. Daran ändert auch der „sittliche Makel“ nichts, da dieser nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise keinen vermögensrelevanten Nachteil begründet.

2. Zwischenergebnis: Vermögensschaden
II. Ergebnis: § 263 I
C. Hehlerei gem. § 259 I durch Bezahlung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Rechtswidrige Vortat eines anderen

Der von FP begangene Betrug gem. § 263 I

b) Sache unmittelbar aus Vortat erlangt
  • 500-Euro-Schein stammt unmittelbar aus der Vortat
  • Maßgeblich ist nur rechtswidrige Besitzlage, nicht erforderlich ist, dass die Sache fremd ist
c) Tathandlung
Welche Tathandlungen muss man im Rahmen des § 259 I anhand welcher Kriterien unterscheiden?  Wissen

Man unterscheidet die Erwerbshehlerei und die Absatzhehlerei. Während der Erwerbshehler im Lager des Erwerbers steht, ist der Absatzhehler dem Lager des Vortäters zuzuordnen. Im Rahmen der Erwerbshehlerei ist das Ankaufen ein Unterfall des Sichverschaffens. Beides verlangt Sichverschaffen. Dies besteht in der Übernahme der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Sache zu eigenen Zwecken durch den Täter im Einverständnis des Vortäters. Im Rahmen der Absatzhehlerei unterscheidet man das Absetzen von der Absatzhilfe am Merkmal der Selbstständigkeit. Absetzen ist die selbständige und weisungsu­n­abhängige Verwertung der Sache im Interesse des Vortäters. Absatzhilfe ist die unselbständige Unterstützung des Vortäters bei der Beuteverwertung.

Siehe zur Veranschaulichung die Schaubilder rechts

aa) Sichverschaffen

J sollte im Interesse des FP bezahlen. Sie steht daher weiter im Lager des Vortäters und hat den Geldschein nicht zu eigenen Zwecken in ihrer Verfügungsgewalt.

bb) Absetzen

J steht zwar „im Lager“ des FP und dieser hat ihr die Verfügungsmacht über die Geldscheine eingeräumt. J hat aber keinen eigenen Entscheidungsspielraum, sondern zahlt die Rechnung „weisungsgemäß“.

cc) Absatzhilfe

J hat den Geldschein im Interesse des FP verwertet und hat der Bedienung weisungsgemäß Besitz an den Geldscheinen verschafft.

2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Bereicherungsabsicht
Handelt J mit Bereicherungsabsicht, wenn es ihr darum ging, den Vortäter FP durch die Zahlung von seinen bestehenden Verbindlichkeiten aus dem Bewirtungsvertrag zu befreien?  Denkanstoß

Siehe Bild rechts

Kann der Vortäter Drittbereicherter sein?  Problem

Nein, die Besserstellung des Vortäters ist allein von § 257 erfasst.
Im Übrigen kam es J nicht i.S.d. dolus dirctus 1. Grades auf eine Besserstellung des FP an.
Damit ist mangels Bereicherungsabsicht der subjektiver Tatbestand nicht erfüllt.

IV. Ergebnis: § 259 I durch Bezahlung
D. Hehlerei gem. § 259 I durch Einbehalten des Wechselgeldes
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
J hat das Wechselgeld unmittelbar im Austausch für das aus der Vortat stammende Geld erlangt. Ist die Ersatzhehlerei von § 259 I erfasst, wenn es sich um Geld handelt?  Problem

Siehe Bild rechts

a) Geldsummentheorie

Gegenstand des Vermögensdeliktes bei Geld ist nicht das Geldzeichen, sondern die Geldsumme. Ja hat sich daher die Geldsumme von 100 Euro verschafft.

b) Geldzeichen ist Gegenstand der Hehlerei

Gegenstand des Vermögensdeliktes bei Geld ist nicht das Geldzeichen. 100-Euro-Schein stammt nicht aus der Vortat und ist daher kein taugliches Tatmittel.

c) Stellungnahme
  • Wortlaut: Tatobjekt ist eine Sache, keine (Wert-)Summe
  • Geldsummentheorie dehnt im Rahmen des § 259 I den Wortlaut zu Lasten des Täters aus und verstößt gegen Art. 103 II GG
2. Zwischenergebnis: kein taugliches Tatobjekt
II. Ergebnis: § 259 I durch Einbehalten des Wechselgeldes

3. Handlungsabschnitt: Das Geschehen in der Buchhandlung

Welche Delikte kommen in Betracht?  Denkanstoß
  • Untreue gem. § 266 I Var. 1 oder 2 durch Forderungs­einziehung bei rabattiertem Verkauf
  • Betrug durch Unterlassen gem. §§ 263 I, 13 I durch Nicht-Anzeigen des Verkaufs gegenüber der sicherungsgebenden Bank
A. Missbrauchsuntreue gem. § 266 I Var. 1 zum Nachteil der Bank durch Forderungs­einziehung
Wie bauen Sie die Untreue gem. § 266 I auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

Prüfen Sie grundsätzlich § 266 I Var. 1 als spezielleres Delikt vor § 266 I Var. 2, 3  Hinweis
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Missbrauch der Befugnis
Wie viele Personen müssen bei der Missbrauchsuntreue beteiligt sein?  Wissen

Die Missbrauchsuntreue ist nur in einem Drei-Personen-Verhältnis möglich. Stets muss das missbräuchliche Verhalten innerhalb des dem Täter im Außenverhältnis eingeräumten Könnens liegen, d.h. der Täter hat das Opfer gegenüber einer dritten Person verpflichtet.

aa) Verfügungsbefugnis
Stellt die Forderungs­einziehung eine Verfügung dar, zu der B befugt war?  Problem

Die Einziehung einer Forderung ist nach dem strengen Wortlaut zwar keine Verfügung. Ist die Einziehungsermächtigung erteilt, wird die Einziehung der Forderung einer Verfügung gleichgestellt.

bb) Missbrauch
Führt die Forderungs­einziehung zu einem Verstoß gegen die Sicherungsabrede?  Denkanstoß

B hat die Forderung pflicht­gemäß eingezogen. Pflichtwidrig ist nicht die Einziehung des Geldes, sondern die Absicht, später den Saldo nicht auszugleichen. Dieser innere Wille bei äußerlich korrektem Verhalten ist kein Missbrauch.

b) Zwischenergebnis: Missbrauch der Befugnis
2. Zwischenergebnis: Tatbestand
II. Ergebnis: § 266 I Var. 1
B. Treuebruchsuntreue gem. § 266 I Var. 2
Anhand welcher Kriterien entscheidet man, ob eine Vermögens­be­treu­ungspflicht vorliegt?  Wissen

Siehe Bild rechts

Eine Untreue gem. § 266 I Var. 2 scheitert jedenfalls an der fehlenden Vermögensbetreuungspflicht, da die Einziehung von Forderungen kein eigenverantwortliches Handeln voraussetzt.

C. Betrug durch Unterlassen gem. §§ 263, 13 zum Nachteil der Bank durch Nichtanzeige der Forderung
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Täuschung und Irrtum

B hat die Mitarbeiter der KSH Bank AG nicht darüber aufgeklärt, dass er die Forderung eingezogen hat. Ferner besteht ein entsprechender Irrtum.

b) Vermögensverfügung

Die Vermögensverfügung besteht in der Nichtgeltendmachung einer Forderung (Anspruch auf Ausgleich des Finanzsaldos).

c) Vermögensschaden
Kann die unterlassene Geltendmachung einer Forderung einen Schaden begründen?  Problem

Für die irrtumsbedingt unterlassene Geltendmachung einer Forderung ist typisch, dass das Vermögen – mangels Eingehung von gegenseitigen Verbindlichkeiten – in seinem Bestand unverändert bleibt. Ein Schaden kann also nur in der Abwertung der nicht geltend gemachten Forderung bestehen. Die Forderung hat aber nicht an Wert verloren.

Ein Vermögensschaden kann nur dann angenommen werden, wenn man die Forderung vor der Verfügung mit ihrem Nennwert bemisst, nach der Verfügung hingegen die mangelnde faktische Durchsetzbarkeit als wertmindernde Faktor berücksichtigt.  Hinweis
2. Zwischenergebnis: Vermögensschaden
II. Ergebnis: §§ 263 I, 13 I
D. Unterschlagung gem. § 246 I zum Nachteil der Bank durch Veräußerung des Buchbandes

Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung gem. § 246 I scheitert an der fehlenden Rechtswidrigkeit der Zueignung. Erfolgt die Sicherungsübereignung – wie im vorliegenden Fall – im Rahmen einer Händlereinkaufsfinanzierung, so ist der Sicherungsgeber auch ohne besondere ausdrückliche Gestattung ermächtigt, die Sache im ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb im eigenen Namen zu veräußern.

4. Handlungsabschnitt: Geschehen im Keller

1. Teil: Strafbarkeit des C zu Lasten des E gem. § 212 I
Kommen mehrere erfolgsver­ursachende Tathandlungen in Betracht, so ist die Prüfung mit der erfolgsnächsten Handlung zu beginnen.  Hinweis
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Tod eines anderen Menschen
b) Kausalität

Dass der Tod des E wenige Stunden später auch hätte eintreten können, ist jedoch für die Frage, ob der Kerzenständerwurf kausal war, ohne Belang, da es auf die konkrete Gestalt des Todeserfolges ankommt und hypothetische Ersatzursachen keine Berücksichtigung finden dürfen.

c) Objektive Zurechnung
aa) Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr
bb) Realisierung der Gefahr im Erfolg
Wie ist der Umstand zu bewerten, dass die vorherige Stichverletzung durch die G ein für C unvorhersehbares, gänzlich atypisch erscheinendes Geschehen darstellt?  Problem

C knüpft bewusst an ein Vorrisiko an. Er setzt durch den Kerzenständerwurf ein zusätzliches Risiko, das lediglich an die bereits bestehende Gefahrenlage für das Opfer anknüpft und diese gerade ausnutzt. Ein gänzlich atypisches Geschehen liegt darin für C also nicht.

2. Subjektiver Tatbestand
a) Eventualvorsatz
b) Tatbestandsirrtum gem. § 16 I 1
Es stellt sich aber die Frage, wie sich der Umstand auswirkt, dass C nicht wie beabsichtigt D, sondern vielmehr den E mit dem Kerzenständer getroffen hat.  Problem

Siehe Bild rechts

Möglicherweise liegt hier ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 I 1 vor. C stellte sich vor, seinen Bruder D, mithin einen Menschen, zu töten. Er irrte sich dabei lediglich über die Identität des Opfers. Die Identität des Opfers ist jedoch kein Umstand, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (sog. error in persona). Der Vorsatz hat sich daher auf die Tötung eines Menschen konkretisiert. Ein Tatbestandsirrtum gem. § 16 I 1 liegt folglich nicht vor.

C handelte demnach vorsätzlich.

Wichtig ist hier ein Normbezug zu § 16 I 1. Der error in persona darf nicht im „luftleeren“ Raum diskutiert werden.  Typischer Fehler
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Ergebnis: § 212

2. Teil: Strafbarkeit der G

A. Totschlag gem. § 212 I
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Tod eines anderen Menschen
b) Kausalität

E ist entweder durch den Blutverlust aus der Wunde der Stichverletzung oder durch die Kopfverletzung mit dem Kerzenständer verstorben. Vielmehr hat die Kumulation der beiden Ereignisse den Todeseintritt zeitlich beschleunigt und damit den Tod in seiner konkreten Gestalt maßgeblich beeinflusst. Es ist ausreichend, dass die früher gesetzte Bedingung bis zum Erfolgseintritt fortwirkt.

c) Objektive Zurechnung
aa) Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr

Der Messerstich schafft eine rechtlich missbillige Gefahr für die körperliche Integrität.

bb) Realisierung der Gefahr im Erfolg
Wie ist der Umstand zu bewerten, dass der Tod des E nicht ausschließlich durch die Stichverletzung, sondern erst in Verbindung mit der Gefahr eingetreten ist, die C durch den Kerzenständerwurf gesetzt hat?
Inwieweit hat also der für eine Primärverletzung verantwortliche und vorsätzlich handelnde Täter für das nachträgliche vorsätzliche Fehlverhalten eines Dritten einzustehen?  Problem
  • Grundsatz: Die objektive Zurechnung des Vollendungserfolgs an den Erstverursacher wird unterbrochen, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue, selbstständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr begründet, die sich allein im Erfolg realisiert.
  • Ausnahme: Wenn das Verhalten Zweittäters so eng mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es geradezu typischerweise durch die Ausgangsgefahr veranlasst erscheint, hat sich auch die Ausgangsgefahr realisiert.
Wie liegt der Fall hier?  Denkanstoß

C handelte aus vollkommen eigenständigen Motiven. Das an die Ersthandlung der G anknüpfende Verhalten des C war nicht durch das Verhalten der G provoziert. Daher stand es mit der Ersthandlung in keinem Zusammenhang und war auch nicht vorhersehbar.

Damit hat sich nicht die von G geschaffene Gefahr realisiert.

2. Zwischenergebnis: objektive Zurechnung
II. Ergebnis: § 212 I
B. Versuchter Totschlag gem. §§ 212, 22, 23 I, 12
I. Vorprüfung
  • keine Vollendungsstrafbarkeit
  • Strafbarkeit des Versuchs gem. § 212 I, 12 I
I. Tatbestand
1. Tatentschluss

Vorsatz in Bezug auf Tötung eines Menschen

2. Unmittlbares Ansetzen

Durch Messerstich

II. Rechtswidrigkeit
Welcher Rechtferti­gungsgrund kommt in Betracht?  Denkanstoß

Hier kommt Notwehr gem. § 32 in Betracht.

Wie baut man die Notwehr gem. § 32 auf?  Struktur

Siehe Bild rechts

1. Notwehrlage
  • Angriff auf Hausrecht und körperliche Integrität
  • Gegenwärtigkeit: Angriff auf Hausrecht findet gerade statt, Angriff auf körperliche Integrität steht unmittelbar bevor
  • Der Angriff war auch rechtswidrig
2. Notwehrhandlung
  • Eingriff in Rechtsgüter des Angreifers (+)
  • Erforderlichkeit und Gebotenheit (+)
3. Subjektives Rechtferti­gungselement
4. Zwischenergebnis: § 32
II. Rechtswidrigkeit
III. Ergebnis: §§ 212 I, 22, 23 I